Goldberg
Aria mit verschiedenen Veränderungen (2011/2012) für zwei Gitarren
Programm
von Joachim F. W. Schneider
Interpreten: Jürgen Ruck (Würzburg) und Petri Kumela (Helsinki)
Programm
Das Werk bezieht sich in Titelgebung, Form und Anlage auf die Goldberg-Variationen von Bach, ohne diese direkt zu zitieren oder diesen gestisch und strukturell allzu nahezukommen. Großer Reichtum zeichnet sowohl die Tonsprache als auch die formale Disposition aus. Es finden sich kontrapunktische Variationen wie Kanons und Fugen ebenso wie virtuose Tanzsätze (Flamenco, Walzer) und Teile, in denen spezielle zeitgenössische
Spieltechniken bis hin zu mikrotonalen Tonsystemen ausgekostet werden. Die scheinbar disparaten Bestandteile verbinden sich in einer einzigartigen und spannenden Dramaturgie zu einem Kunstwerk von höchstem Rang.
Wie bei Bach nehmen die Kanons innerhalb der Variationen einen relativ breiten Raum ein, aber anders als bei Bach spielen nicht die Intervallabstände der beiden Kanonstimmen, sondern die zeitlichen Proportionen der Stimmen zueinander die entscheidende Rolle. Die Kanons stehen in den Zeitverhältnissen 7:6, 7:5 usw. ‒ bis hin sogar zum kaum mehr Verhältnis zu nennenden 1:1 ‒, und die folgende Stimme ist immer die Umkehrung der beginnenden. Aber schon innerhalb dieser strengen Satzkonstruktionen entfaltet sich ein ganzer Kosmos von Stimmungen und Charakteren, der sich durch die freien Variationen noch vielfach erweitert.
Neben den erwähnten Tanzsätzen „Flamenco“ und „Walzer“ beziehen sich zumindest die Titel einzelner Variationen auf alte Formen wie „Toccata“ oder „Passacaglia“, daneben gibt es auch geheimnisvolle und zauberhaft klingende Sätze, die „Musik aus Glas“, „Kolibri“ oder „Spieluhr“ benannt sind.
Über den gesamten Zyklus erstreckt sich eine zunehmend mikrotonale Ausdifferenzierung des Tonmaterials, bis sich am Ende die Tonhöhen gewissermaßen auflösen. Gleichzeitig erreicht die Disposition der Zeitproportionen das irgendwie unwirkliche Verhältnis 1:1. Bevor also am Ende die Aria ein zweites Mal erklingt, scheinen die Variationen in vielerlei Hinsicht konsequent auf einen bestimmbaren Punkt zuzusteuern. Dieser erweist sich allerdings ‒ im Übrigen wie bei Bach ‒ als ein „Quodlibet“, in dem die Spieler ihren Weg durch die Partitur wählen müssen und das somit wörtlich („wie es beliebt“) verstanden wird. Auf diese Weise ist das Quodlibet der Abschluss einer groß angelegten Entwicklung und gleichzeitig ein Ort, an dem die zielgerichtete Konsequenz ausgehebelt wird, indem Freiheit Einzug hält.
Eine detaillierte Auflistung aller Sätze sowie deren Dauer findet sich hier: http://www.joachim-fw-schneider.de/index.php/zupfinstrumente/518-goldberg-3
Jürgen Ruck
geboren in Freiburg, studierte als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes in seiner Heimatstadt bei Sonja Prunnbauer und in Basel bei Oscar Ghiglia. 1986 erhielt er den ersten Preis beim Deutschen Musikwettbewerb, 1990 den Kranichsteinpreis für die Interpretation Neuer Musik. Das Repertoire von Jürgen Ruck umfasst Musik vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Er konzertiert in den verschiedensten Kammermusikbesetzungen und trat bereits bei vielen internationalen Festivals auf. Als Solist spielte er unter anderem mit dem Berliner Philharmonischen Orchester (in dem er regelmäßig als Gastmusiker mitwirkt), dem Ensemble Intercontemporaine Paris, der London Sinfonietta und den Rundfunkorchestern des WDR, NDR, SR, RAI Mailand und ORF Wien.
Jürgen Ruck engagiert sich besonders für die zeitgenössische Musik: als Gitarrist des Ensemble Modern sowie in der Zusammenarbeit mit Komponisten wie György Kurtág und Hans Werner Henze. Bei der Uraufführung von György Kurtágs "Grabstein für Stephan" im Jahr 1991 mit den Berliner Philharmonikern unter Zoltan Pesko spielte er den Solopart. Das bedeutende Schaffen Hans Werner Henzes für Gitarre bildet einen besonderen Schwerpunkt seines Repertoires. Henze betraute Ruck mit der Einrichtung und Uraufführung zweier neuer Kompositionen für Gitarrenduo. Eine CD mit diesen Werken erschien 1999 bei Dabringhaus & Grimm.
"Jürgen Ruck ist einer der bemerkenswertesten jungen Guitarristen unserer Zeit. Er besitzt große poetische Musikalität, die sich dank seines ungewöhnlichen technischen Könnens anscheinend mühelos in Spiel umsetzt. Ich liebe sehr Rucks Interpretationen meiner Musik." (H.W. Henze)
Petri Kumela
one of Finland’s most versatile and sought-after classical guitarists, is equally at home with period instruments as in working with contemporary composers. He studied at the Helsinki Conservatory with Juan Antonio Muro and at the Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg in Germany with Franz Halász. While still a student, he won the first prize in both the Scandinavian Guitar Festival and the Stafford Classical Guitar Recital competitions.
Outside Finland, Petri Kumela has appeared in many European countries, South America, the United States, Russia, India, Bhutan and Japan at venues that have ranged from intimate domestic concerts to prestigious concert halls like Purcell Room (Southbank Centre) in London and Kitara-hall in Sapporo. At home in Finland he has been heard at numerous festivals and in many concert series. These include the Mikkeli Music Festival, Kymijoen Lohisoitto, the Katrina concert series in the island province of Åland, the Summer Sounds festival of the Avanti! Chamber Orchestra, the Tampere Biennale, the Time of Music festival in Viitasaari, the Oulunsalo Soi festival and Musica nova Helsinki.
As a soloist, he has collaborated with a host of conductors, such as Anna-Maria Helsing, Massimo Lambertini, Hannu Lintu, Juha Kangas, Ari Rasilainen, Yasuo Shinozaki, Dima Slobodeniouk and John Storgårds. An extremely active chamber musician, he has appeared with the Avanti!, Uusinta, Tampere Raw and many other chamber ensembles and musicians. He is also in charge of the guitar tuition at the Helsinki Metropolia University of Applied Sciences. An artist with a special commitment to contemporary music, Petri Kumela has premiered countless works: solo and chamber repertoire, and several guitar concertos. He has had works dedicated to him by Paavo Korpijaakko, Uljas Pulkkis, Jan Vainio, Riikka Talvitie, Minna Leinonen, Lotta Wennäkoski and Pehr Henrik Nordgren. His partnership with Nordgren alone resulted in six new additions to the Finnish repertoire for various instrumental combinations. Kumela is the artistic director for the chamber music concerts of the biggest contemporary music festival in the nordic countries, Nordic Music Days 2013. The discs released by Petri Kumela have all won high critical acclaim. “Change is gonna come” was chosen by both the Helsingin Sanomat and the American Record Guide as critic ́s choices of the year. The latest recording “Nebula – The Guitar Works of Paavo Korpijaakko” was released in 2012. His next cd will include music by Crumb, Kurtag, Fagerudd and tuomela and will be published in late 2013. He has also made a number of recordings for the Finnish Broadcasting Company (yle).
Web: http://www.petrikumela.com/
Joachim F. W. Schneider studierte bei Heinz Winbeck an der Hochschule für Musik Würzburg. Er erhielt mehrere nationale und internationale Auszeichnungen, u.a. den ersten Preis beim II. Internationalen Uuno Klami Kompositionswettbewerb in Finnland, den Bayerischen Staatsförderpreis und den Europäischen Komponistenpreis. Seine Werke werden von namhaften Solisten, Ensembles und Orchestern gespielt (u.a. Sol Gabetta, dem Berkeley Symphony Orchestra, dem Lapland Chamber Orchestra, der Kymi Sinfonietta, dem Münchener Kammerorchester und dem Ensemble Modern) und kommen in Europa, den USA und Kanada zur Aufführung. Er arbeitete u.a. mit den Dirigenten Kent Nagano, John Storgårds, Yasuo Shinozaki, Alexander Liebreich und Jonathan Stockhammer zusammen.
Schneider komponiert Werke für unterschiedlichste Besetzungen: für Streichquartett, Orchester und Chor ebenso wie für Klavier, Gitarre und Tuba solo. Seine Musik ist komplex und vielschichtig, sie bedient sich aller Ausdrucksmöglichkeiten und Techniken der ein-
zelnen Instrumente. Diese Klangvielfalt vereint er zu einer eigenen und originären Ästhetik, die von zeitlicher sowie farblicher Dichte geprägt ist.
Seit 1998 ist Schneider Dozent an der Hochschule für Musik Würzburg, wo er im PreCollege musikalisch hochbegabte Kinder und Jugendliche in den Fächern Gehörbildung und Tonsatz unterrichtet. Im Sommersemester 2013 vertrat er die Professur für Komposition an der Hochschule für Musik Würzburg.